373 Tage. So lange habe ich ihn gestillt. Doch jetzt will Luis einen Schluck von meinem Glas Milch. Es ist also soweit: Die Phase des Abnabelns beginnt. Und so trinkt er genüsslich. Es ist nur ein Schluck. Doch der soll unsere Welt verändern.
Statt eines zufriedenen Kindes sitzt plötzlich ein Häufchen Elend vor mir: rot angelaufenes Gesicht, geschwollene Augenlider und beim Atmen pfeift es. Es läuft mir eiskalt den Rücken hinunter.
Der anschließende Besuch im Krankenhaus bringt Gewissheit. Diagnose: Lebensmittelallergie. Milchallergie, um genau zu sein. Und weil Luis so heftig reagierte – im Fachjargon spricht man von einem anaphylaktischen Schock –, ist das Notfallset seitdem immer griffbereit.
Wir fühlen uns allein. Doch so allein sind wir gar nicht: Der Deutsche Allergie- und Asthmabund (DAAB) schätzt, dass mehr als sechs Millionen Menschen in Deutschland allergisch auf Lebensmittel reagieren. Tendenz steigend! Und Luis ist also nun einer von ihnen.
Keine Milch, kein Joghurt, kein Käse. Keine Butter und keine Sahne. Doch schnell sollen wir lernen, dass Milch in Deutschland in so vielen Lebensmitteln steckt – auch in solchen, in denen man es nicht vermutet. Zu Hause stellen wir unseren Speiseplan auf den Kopf. Beim Einkaufen studieren wir akribisch die Zutatenliste. Ins Restaurant? Das gleicht oftmals einem Spießroutenlauf: Allergene sind in der Speisekarte nicht immer klar gekennzeichnet. Und das Personal ist oftmals nicht geschult.
Im Sommer ganz spontan ein Eis genießen – ein Traum! Doch trotz der mittlerweile vielen veganen Alternativen bleibt oft ein ungutes Bauchgefühl. Da kreieren wir lieber unser eigenes 100% milchfreies Fruchteis zu Hause. Und im Winter, rund um Weihnachten wird im Akkord gebacken. Denn all die Leckereien, wie Lebkuchen, Spekulatius oder Stollen, enthalten schiere Unmengen an Butter, Milch und Sahne.
Der dritte Geburtstag steht vor der Tür, und damit der erste Tag im Kindergarten. Schnell wird uns klar: Je mehr Menschen Luis begegnet und je mehr er ohne die wachsamen Augen von Mama und Papa unterwegs ist, umso höher das Risiko, mit dem Allergen in Berührung zu kommen.
Angst begleitet mich auf dem Weg zum Kindergarten. Und trotz Luis, unserem klugen Köpfchen, trotz der aufmerksamen Erzieherinnen und trotz der gut schmeckenden Alternativen, beschleicht mich immer wieder der Gedanke: Was, wenn es heute passiert? Das Telefon liegt stets griffbereit. Es ist ein ständiges Gefühl der Angst und Hilflosigkeit.
Doch damit will ich mich nicht abfinden. Luis soll nicht nur einen Schutzengel haben, sondern ganz viele. Und wer kann besser auf einen achtgeben als gute und vor allem gut informierte Freund:innen? All die Kinder seiner Gruppe – ganze 24 an der Zahl – sollen davon erfahren. Erfahren, was es heißt, eine Lebensmittelallergie zu haben.
Und so entstand Allergie! 26 Kinder suchen ihr Lebensmittelallergen. Nicht nur betroffene Kinder erfahren so spielerisch, was Lebensmittelallergien bedeuten und auslösen können, sondern auch Kinder in Kindergarten und Grundschule, Eltern und Erzieher:innen. Und so hat Luis nun 24 kleine Schutzengel, die ihn jeden Tag im Kindergarten begleiten.
Wie unsere Geschichte weitergeht, erfährst du auf Instagram.
© Anita Barry. Alle Rechte vorbehalten.
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